Flaschenpfand als kleines Zubrot
Er geht von Mülleimer zu Mülleimer. Er weiß, wann die Tonnen geleert werden. Er kennt die besten Flaschenplätze. Wenn er Leergut
hinter einem Eisenzaun nicht erreicht, greift er auch mal zum
Regenschirm. Jan Müller (Name geändert) ist 70, gelernter Tischler,
liebt Bach-Kantaten und Thomas Mann * und geht täglich mindestens ein
Mal auf Pfandflaschentour, um seine geringe Rente aufzubessern. Nötig
hat er das Sammeln nicht, aber es ermöglicht ihm ein etwas besseres
Leben.
Es fing alles mit der WM-Übertragung an der Hafenspitze
im vergangenen Jahr an. Zu dieser Zeit wurde an der Förde viel
getrunken. Müller begann* neben anderen Jobs *, regelmäßig
systematisch Pfandflaschen zu sammeln. Er hat festgelegte Routen. Heute
geht es wieder zügigen Schrittes von Norden aus auf Sammeltour durch
Flensburgs Fußgängerzone bis zum Südermarkt und von dort über ZOB und
Hafenspitze zum Nordertor. *Das Wetter ist wie gemacht zum
Flaschensammeln, es ist nicht zu warm, leicht bewölkt, aber trocken",
sagt Müller. Er ist in gedeckte Farben gekleidet: schwarze
Stoffhose, blaues Shirt. Seine Füße stecken in schwarzen Strümpfen und
braunen Sandalen. In den Händen hält er eine unauffällige Stofftasche,
die zwei Plastiktüten enthält. Der erste pinkfarbene Mülleimer wartet
an der Norderstraße. Er guckt rein, zieht eine Flasche heraus, wirft
sie wieder zurück: Kein Pfand darauf, sie ist wertlos. Nebenbei checkt
er den Parkscheinautomaten, denn mancher Autofahrer vergisst auch hier
seine Münzen.
Weiter geht es, er beugt sich mit Kennerblick über
die Mülleimer, hat keine Hemmungen. Vorbeiziehende Passanten beachten
ihn kaum. Auch er hat nur Augen für Leergut. Und da ist das erste
Erfolgserlebnis: Im zehnten Mülleimer wartet eine Cola-Mix-Dose im Wert
von 25 Cent auf ihn. Eine weitere Dose folgt. In 15 Minuten hat er so
50 Cent erworben, *das ist vergleichbar mit einem 1-Euro-Job", sagt
Müller.
*Leere Flaschen, die neben Bauarbeitern stehen, sind ein
Tabu, das wäre schließlich Diebstahl", sagt Müller. Er arbeitet hoch
konzentriert, immer freundlich, immer korrekt. Zielstrebig, mit
Tunnelblick, steuert er auf die nächste Mülltonne in der Rathausstraße
zu * wieder nichts. *Die Mülleimer sind offensichtlich gerade geleert",
sagt er und ändert die Route. Jetzt geht es in Richtung ZOB weiter.
Im nächsten Mülleimer * wieder eine Dose und obendrein die englische
Zeitung *Daily Mail", die Müller als gebildeter Mensch gerne liest. Er
pfeift vor sich hin. Ab und zu nickt er einem anderen Sammler zu, ohne
ihm in die Augen zu blicken * *Man kennt sich und muss sich gegenseitig
den Erfolg gönnen", meint Müller. Doch auch er musste erleben, wie ihm
eine andere Sammlerin vor der Nase eine gute Flasche wegschnappte.
Auch
an der Hafenspitze konzentriert sich Müller nur auf die Mülleimer.
*Manchmal ist es schade, dass man gar nicht mitkriegt, was für ein
schöner, sonniger Tag es ist", sagt er. Doch Arbeit ist Arbeit. Und die
zieht er durch * strikt. Wieder 25 Cent. Und sie liegen fein säuberlich
neben einer Mülltonne: *So was nenne ich kultivierten Umgang mit
Leergut", meint Müller. Einige lieben die vollen Flaschen, andere, so
wie er, die leeren. Man ist freundlich zueinander, manch ein Liebhaber
der vollen Flaschen reicht Müller sogar sein geleertes Bier zu, ein
anderer bringt ihm ein dänisches Lied bei. Aber letztlich ist in
seiner Branche jeder alleine und kämpft ums eigene Überleben. Doch
manch alte Dame guckt ihm auch pikiert hinterher. Und es kommen Sprüche
von Passanten wie *Steck doch deine Nase gleich ganz in den Eimer" oder
*Grabschi, Grabschi". Aber so was interessiert Müller
nicht mehr.
Außerdem kommen danach ja auch wieder nette Äußerungen wie: *Da
brauchen Sie nicht mehr reinzugucken, da war gerade jemand."
*Der
Sommer ist die beste Zeit zum Sammeln", sagt Müller. Außerdem schwärmt
er von den Wochenenden zu Monatsbeginn, an denen die Leute noch mehr
Geld zum Trinken zur Verfügung haben. Dann ist seine Ausbeute besonders
gut. Eine seiner Spezialmethoden ist es, bei Aldi in die Mülleimer zu
schauen. *Wenn der Automat die Flaschen nicht gleich annimmt, schmeißen
eilige Menschen die Flasche gleich weg", sagt der strategische Denker.
Und: Auch zerdrückte Dosen oder Bierflaschen aus Dänemark bringen Geld
ein. Außerdem empfiehlt er, vorsichtig in die Abfalleimer zu langen,
denn er könnte Scherben oder senfverschmierte Flaschen enthalten.
*Handschuhe und anderes Werkzeug sind mir zu professionell", sagt
Müller. Stattdessen fasst er mit der bloßen Hand in den Müll und wäscht
sich nach der Tour die Hände bis zu den Ellenbogen.
Am Ende bringt er die gesamte Beute aus über 150 Mülleimern * Weichplastikflaschen, Glasflaschen und Dosen * zum Lebensmittelgeschäft:
Sein Gewinn nach gut drei Stunden beträgt 6 Euro und 10 Cent. Das ist
ein normaler Wert für so eine Tour. Dieses Geld legt er zurück für
eine Reise nach Amerika, wo er seine kranke Schwester besuchen will.
Der Flug kostet 570 Euro * Möller muss also
95 solcher Sammeltouren unternehmen, um seinen Traum wahr werden zu lassen.
