Flaschenpfand als kleines Zubrot

Drei Stunden ist er jeden Tag in Flensburg von Mülltonne zu Mülltonne unterwegs. Er sucht nach Pfandflaschen, denn seine Rente ist sehr knapp. Das Geld braucht er, um seine kranke Schwester in Amerika zu besuchen.Reportage, erschienen im Flensburger Tageblatt am 18. August 2007.

Er geht von Mülleimer zu  Mülleimer. Er weiß, wann die Tonnen geleert werden. Er kennt die besten Flaschenplätze. Wenn er Leergut hinter einem Eisenzaun nicht erreicht, greift er auch mal zum Regenschirm. Jan Müller (Name  geändert) ist 70, gelernter Tischler, liebt Bach-Kantaten und Thomas Mann * und geht täglich mindestens ein Mal auf Pfandflaschentour, um seine geringe Rente aufzubessern. Nötig hat er das Sammeln nicht, aber es ermöglicht ihm ein etwas besseres Leben.

Es fing alles mit der WM-Übertragung an der Hafenspitze im vergangenen Jahr an. Zu dieser Zeit wurde an der Förde viel getrunken. Müller begann* neben anderen Jobs *, regelmäßig  systematisch Pfandflaschen zu sammeln. Er hat festgelegte Routen. Heute geht es wieder zügigen Schrittes von Norden aus auf Sammeltour durch Flensburgs Fußgängerzone bis zum Südermarkt und von dort über ZOB und Hafenspitze zum Nordertor. *Das Wetter ist wie gemacht zum Flaschensammeln, es ist nicht zu warm, leicht bewölkt, aber trocken", sagt Müller. Er ist in gedeckte Farben gekleidet: schwarze Stoffhose, blaues Shirt. Seine Füße stecken in schwarzen Strümpfen und braunen Sandalen. In den Händen hält er eine unauffällige Stofftasche, die zwei Plastiktüten enthält. Der erste pinkfarbene Mülleimer wartet an der Norderstraße. Er guckt rein, zieht eine Flasche heraus, wirft sie wieder zurück: Kein Pfand darauf, sie ist wertlos. Nebenbei checkt er den Parkscheinautomaten, denn mancher Autofahrer vergisst auch hier  seine Münzen.

Weiter geht es, er beugt sich mit Kennerblick über die Mülleimer, hat keine Hemmungen. Vorbeiziehende Passanten beachten ihn kaum. Auch er hat nur Augen für Leergut. Und da ist das erste Erfolgserlebnis: Im zehnten Mülleimer wartet eine Cola-Mix-Dose im Wert von 25 Cent auf ihn. Eine weitere Dose folgt. In 15 Minuten hat er so 50 Cent erworben, *das ist vergleichbar mit einem 1-Euro-Job", sagt Müller.

*Leere Flaschen, die neben Bauarbeitern stehen, sind ein Tabu, das wäre schließlich Diebstahl", sagt Müller. Er arbeitet hoch konzentriert, immer freundlich, immer korrekt. Zielstrebig, mit Tunnelblick, steuert er auf die nächste Mülltonne in der Rathausstraße zu * wieder nichts. *Die Mülleimer sind offensichtlich gerade geleert", sagt er und ändert die  Route. Jetzt geht es  in Richtung ZOB weiter.  Im nächsten Mülleimer * wieder eine Dose und obendrein die englische Zeitung *Daily Mail", die Müller als gebildeter Mensch gerne liest. Er pfeift vor sich hin. Ab und zu nickt er  einem anderen Sammler zu, ohne ihm in die Augen zu blicken * *Man kennt sich und muss sich gegenseitig den Erfolg gönnen", meint Müller. Doch auch er musste erleben, wie ihm eine andere Sammlerin vor der Nase eine gute Flasche wegschnappte.

Auch an der Hafenspitze konzentriert sich Müller nur auf die Mülleimer. *Manchmal ist es schade, dass man gar nicht mitkriegt, was für ein schöner, sonniger Tag es ist", sagt er. Doch Arbeit ist Arbeit. Und die zieht er durch * strikt. Wieder 25 Cent. Und sie liegen fein säuberlich neben einer Mülltonne: *So was nenne ich kultivierten Umgang mit Leergut", meint Müller. Einige lieben die vollen Flaschen, andere, so wie er, die leeren. Man ist freundlich zueinander, manch ein Liebhaber der vollen Flaschen reicht Müller sogar sein geleertes Bier zu, ein anderer bringt ihm ein dänisches Lied bei. Aber letztlich ist in seiner Branche jeder alleine und kämpft ums eigene Überleben. Doch manch alte Dame guckt ihm auch pikiert hinterher. Und es kommen Sprüche von Passanten wie *Steck doch deine Nase gleich ganz in den Eimer" oder *Grabschi, Grabschi". Aber so was interessiert Müller
nicht mehr. Außerdem kommen danach ja auch wieder nette Äußerungen wie: *Da brauchen Sie nicht mehr reinzugucken, da war gerade jemand."

*Der Sommer ist die beste Zeit zum Sammeln", sagt Müller. Außerdem schwärmt er von den Wochenenden zu Monatsbeginn, an denen die Leute noch mehr Geld zum Trinken zur Verfügung haben. Dann ist seine Ausbeute besonders gut. Eine seiner Spezialmethoden ist es, bei Aldi in die Mülleimer zu schauen. *Wenn der Automat die Flaschen nicht gleich annimmt, schmeißen eilige Menschen die Flasche gleich weg", sagt der strategische Denker. Und: Auch zerdrückte  Dosen oder Bierflaschen aus Dänemark bringen Geld ein. Außerdem empfiehlt er, vorsichtig in die Abfalleimer zu langen, denn er könnte Scherben oder senfverschmierte Flaschen enthalten.  *Handschuhe und anderes Werkzeug sind mir zu professionell", sagt Müller. Stattdessen fasst er mit der bloßen Hand in den Müll und wäscht sich nach der Tour die Hände bis zu den Ellenbogen.

Am Ende bringt er die gesamte Beute aus über 150 Mülleimern * Weichplastikflaschen, Glasflaschen und Dosen * zum Lebensmittelgeschäft: Sein Gewinn nach gut drei Stunden beträgt 6 Euro und 10 Cent. Das ist ein normaler Wert für so eine Tour.  Dieses Geld legt er zurück für eine Reise nach Amerika, wo er seine kranke Schwester besuchen will. Der Flug kostet  570 Euro * Möller muss also
95 solcher Sammeltouren unternehmen, um seinen Traum wahr werden zu lassen.

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